Corona-Krise und Unterhaltspflicht
Corona-Krise und Unterhaltspflicht

Corona-Krise und Unterhaltspflicht

Die Corona-Krise wirkt sich auf sämtliche Lebensbereiche aus. Wie viele Nachfragen zeigen, ist auch die Unterhaltsheranziehung in den Sozial- und Jugendämtern oder im Jobcenter betroffen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf das Unterhaltsrecht und auf die Unterhaltsheranziehung im SGB II, SGB XII, Beistandschaft oder im Unterhaltsvorschuss?

Die aktuelle Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen bestimmt sich nach dem aktuellen Einkommen; bei Unterhaltsrückständen beurteilt sich die Leistungsfähigkeit nach dem Einkommen im jeweiligen Jahreszeitraum (vgl. BGH, 07.08.2013, XII ZB 269/12, openJur 2013, 34080 = FamRZ 2013, 1554). Das aktuelle Einkommen wird entsprechend den OLG-Leitlinien i. d. R. nach dem Durchschnitt der letzten 12 Monate bemessen. Auch bei abhängig Beschäftigten mit schwankenden Bezügen, z. B. bei berufstypischen Ausfällen der Erwerbsmöglichkeit im Baugewerbe (Schlechtwettergeld), bildet grundsätzlich das über einen längeren Zeitraum erzielte Durchschnittseinkommen die Beurteilungsgrundlage für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners (vgl. OLG Koblenz, 1. Strafsenat, 04.04.2005, § 170 StGB, § 1603 BGB, NStZ 2005, 640-641 m. w. N. = NJW-Spezial 2005, 570 [LS]).

Es stellt sich nun die Frage, wie sich der – gerade nicht typische – Einkommensrückgang in Folge der Corona-Krise auf die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens auswirkt.

Wurde die Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelt und für die Zukunft zugrunde gelegt, möglicherweise sogar verbindlich durch Unterhaltstitel festgeschrieben, stellt sich die Frage, wie sich ein Einkommensrückgang infolge der Corona-Krise auswirkt und ggf. zur Abänderung eines Unterhaltstitels berechtigt.

Schließlich wirkt sich die Corona-Krise auch auf die Möglichkeiten des Pflichtigen aus, eine vorübergehende Einkommensreduzierung durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit durch Nebenbeschäftigung, Wechsel der Arbeitsstelle oder anderweitige Beschäftigung und dadurch erzieltes Einkommen zu kompensieren. Muss er zur Sicherstellung seines eigenen Bedarfs oder für die Unterhaltsleistungen sogar vorhandenes Vermögen durch Belastung oder Verbrauch einsetzen und kann er ggf. in dieser Zeit aufgenommene Schulden zur Überbrückung einer Notlage künftig einkommensmindernd geltend machen?

Wie lässt sich das unterhaltsrelevante Einkommen während der Corona-Krise ermitteln?

Es spricht vieles dafür, die aktuelle Leistungsfähigkeit in dieser Zeit auch nach den aktuellen Einkünften zu ermitteln, die der Pflichtige unter Ausnutzung seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit konkret erzielen kann. Ist das aktuelle Einkommen infolge Wegfalls von Mehrarbeit oder auch Kurzarbeit zurückgegangen, wird den Pflichtigen daran regelmäßig kein Verschulden treffen. Ihm wird es oftmals nicht gleich zumutbar und möglich sein, im Hinblick auf Kontaktbeschränkungen und Anrechnungsvorschriften bei Kurzarbeit (§ 106 Abs. 3 SGB III) und bei Arbeitslosengeld I (§ 155 Abs. 1 SGBIII) die fehlenden Einkünfte durch Nebenbeschäftigung zu kompensieren. Allerdings lässt sich nicht zuverlässig beurteilen, wie lange diese Beschränkungen andauern. Ob ein Beschäftigungswechsel in Betracht kommt, hängt maßgeblich ab von der Dauer und dem Ausmaß der Veränderungen, auf den Grad der Unterhaltsverpflichtung (§ 1609 BGB) und von der Antwort auf die Frage, ob eine gesteigerte Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB gegenüber minderjährigen Kindern oder ihnen gleichgestellten volljährigen Kindern besteht.

Vermögenseinsatz

Wie in dem Beitrag unter Vermoegenseinsatz – Kindesunterhalt ausgeführt, kommt dann sogar der Einsatz von Vermögen zur Sicherstellung des Mindestunterhaltes der Kinder in Betracht.

Kurzarbeit und Nebenbeschäftigung

Anders als bisher ist auch bei Kurzarbeit eine Nebenbeschäftigung nicht mehr ausgeschlossen. Dem Sozialschutzpaket II hat der Bundesrat am 15.05.2020 zugestimmt und es enthält verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten beim Kurzarbeitergeld ab April bis Dezember 2020. Hiernach darf bis zum bisherigen Bruttoeinkommen anrechnungsfrei hinzuverdient werden. Es werden – wenngleich auch nur in wenigen Bereichen – durchaus Aushilfskräfte gesucht – vgl. https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/gesucht-erntehelferinnen-und-erntehelfer – ein Aufruf vom 29.03.2020, der sich speziell an Kurzarbeiter richtet. Dort heißt es: „Gezielt angesprochen sind zum Beispiel Personen, die sich Corona-bedingt derzeit in Kurzarbeit befinden, … sowie alle Interessierte, die in den kommenden Wochen mit einer Arbeit in der Landwirtschaft Geld verdienen und sich dabei für die Gesellschaft einsetzen möchten“.

Zeitabschnittsweise Betrachtung

Es wäre insoweit sachgerecht, eine Unterhaltsregelung jeweils nur befristet zu treffen und dabei möglichst eine einvernehmliche Regelung anzustreben. Eine ganz besondere Situation ergibt sich für Selbständige und Freiberufler, die von jetzt auf gleich keine Umsätze mehr erzielen und – bis auf Nothilfen – von keiner Stelle Ersatz-/ Leistungen beanspruchen konnten. Von Ihnen in dieser unvorhersehbaren Situation ein Beschäftigungswechsel zu verlangen, dürfte überzogen sein. Insgesamt wird man eher zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine normale Unterhaltsfestsetzung, die eine dauerhafte Festlegung des Unterhalts für die Zukunft regelt, derzeit kaum möglich ist. Sie dürfte erst wieder möglich sein, wenn sich das zukünftige Einkommen einigermaßen sicher – und ggfls. unter Zugrundelegung des Durchschnittseinkommens vor Corona – prognostizieren lässt.

Ist die vor Corona getroffene Unterhaltsregelung abzuändern?

Wenn ein formeller Unterhaltstitel besteht, richtet sich die Abänderung nach den §§ 238 ff. FamFG. Im Grundsatz setzt die Abänderung hiernach eine dauerhafte und – wenn der Titel nicht nur im Vereinfachten Verfahren ergangen ist – auch eine nachträglich wesentliche Veränderung der maßgeblichen Veränderung voraus. Ob man bei der Veränderung durch die Corona-Krise von einer dauerhaften Veränderung sprechen kann, ist im Einzelfall zu beurteilen und oft nicht ganz unproblematisch. Zum einen ist ungewiss, wie lange die Situation konkret anhält. Zum anderen stellt sich auch hier die Frage, inwieweit es dem Unterhaltspflichtigen möglich und zumutbar ist, die ggf. eingetretenen Veränderungen durch Corona in der aufgezeigten Art und Weise zu kompensieren. Bevor ein Titel dauerhaft abgeändert wird, sollte ein sog. Vollstreckungsverzicht in Betracht gezogen und befristet verabredet werden.

Wurde der Unterhalt nur einseitig, z. B. mit Aufforderungsschreiben, beziffert und (auch) für die Zukunft verlangt, liegt darin keine übereinstimmende Erklärung und damit keine verbindliche Festlegung für die Zukunft. Insbesondere in den Jobcentern wird in derartigen Fällen auf eine formelle Titulierung des Unterhalts verzichtet. Der Unterhaltspflichtige dürfte jederzeit und auch, wenn die besonderen Voraussetzungen einer wesentlichen Veränderung nicht vorliegen, zu einer Anpassung nach den aktuellen Verhältnissen berechtigt sein. Falls der Leistungsträger bzw. der Unterhaltsberechtigte damit nicht einverstanden ist, muss er initiativ werden und ggf. gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Darf der Pflichtige, der eine durch die Corona-Krise entstandene Notlage durch Kredit überbrückt, diese Verpflichtungen künftig den Unterhaltsberechtigten entgegenhalten?

Die Notprogramme der Bundesregierung und des Gesetzgebers zeigen, dass viele Personen durch die Corona-Krise in eine unverschuldete Notlage geraten sind. Dies betrifft – wie bereits angesprochen – insbesondere Selbständige und Freiberufler. Sie hatten bis auf die sog. Nothilfen zum Teil überhaupt kein Einkommen. Von daher ist unumgänglich, dass ggf. vorhandene Aktiva eingesetzt werden und auf Rücklagen zugegriffen werden muss. Dass bei vielen Betrieben und Selbständigen schon nach wenigen Wochen in der Corona-Krise von drohender Insolvenz die Rede war und ist, erweckt den Eindruck, dass – vielleicht begünstigt durch niedrige Zinssätze – kaum Eigenkapital oder Rücklagen als bereite Mittel zur Verfügung stehen. Wenn zur Überbrückung rückzahlbare Hilfen in Anspruch genommen werden, ist nachvollziehbar, dass sie künftige Zeiten mit Ausgaben für Zins und Tilgung und insoweit verfügbares Einkommen belasten. Das wirkt sich i. d. R. auch auf die Leistungsfähigkeit aus. Soweit es sich allerdings um Unterhaltsansprüche gesteigert unterhaltsberechtigter Kinder handelt und deren gesetzlicher Mindestunterhalt nicht sichergestellt ist, dürfte dieser Anspruch allen Verbindlichkeiten regelmäßig vorgehen (vgl. BGH, 22.05.2019, XII ZB 613/16, FamRZ 2019, 1415 = JAmt 2019, 521 = NZFam 2019, 713 (m. Anm. Niepmann).

Corona-Krise - Unterhaltsanspruch und Übergang auf Sozialleistungsträger

Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf die rein unterhaltsrechtliche Bewertung.

Ob und inwieweit ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch auf einen Sozialleistungsträger übergeht, bestimmt sich nach den entsprechenden Vorschriften im Sozialleistungsgesetz.

Das Unterhaltsvorschussgesetz regelt in § 7 UntVorschG den Anspruchsübergang bis zur Höhe des um das gesamte Kindergeld geminderten Mindestunterhalts (§ 2 UntVorschG) ohne Einschränkung, ob der Pflichtige auch tatsächlich über ausreichende Mittel verfügt. Von daher gehen auch Ansprüche aus fiktiver Leistungsfähigkeit auf die Unterhaltsvorschussbehörde über, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil keine ausreichenden Nachweise um eine andere Beschäftigung oder um Nebentätigkeiten neben dem Kurzarbeitergeld nachweisen kann und er ausreichendes Einkommen hätte erzielen können (vgl. BGH, 18.03.2020, XII ZB 213/19, BGB § 1629; SGB II §§ 33, 38, openJur 2020, 5542, dort Rdnr. 38).

Anders ist das in der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Nach § 33 SGB II geht ein Unterhaltsanspruch nur über, soweit der Pflichtige und seine ggf. neue Familie durch die Unterhaltsheranziehung nicht bedürftig werden. Bei dieser Betrachtung wird nur abgestellt auf das nach § 12 SGB II einzusetzende Vermögen und auf die „tatsächlichen Einkünfte“ (§ 11 SGB II) des Pflichtigen und – allerdings auch – der zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Personen.

Erzielbare Einkünfte werden, weil sie tatsächlich nicht zur Verfügung stehen, bei dieser sog. Vergleichsberechnung aber nicht berücksichtigt (vgl. BGH, 18.03.2020, XII ZB 213/19, BGB § 1629; SGB II §§ 33, 38, openJur 2020, 5542, dort Rdnr. 15 ff. mit Hinweis auf BGH, FamRZ 2020, 577 und FamRZ 2013, 1962). Deshalb gehen. Ansprüche, die sich aus fiktiver Leistungsfähigkeit ergeben, weil z. B. der Kindesvater seine unterhaltsrechtliche Erwerbsobliegenheit offenkundig verletzt, nicht auf den Sozialleistungsträger über. „Die auf die Sozialleistungsträger übergegangenen Ansprüche sind dementsprechend auf den nach dem tatsächlich erzielten Einkommen berechneten Unterhalt begrenzt“, heißt es in der BGH-Entscheidung, FamRZ 2020, 577 ff., Rdnr. 30.

Wenn der Pflichtige allerdings keine Auskunft über sein oder das Einkommen und Vermögen der zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen erteilt, lässt sich die Vergleichsberechnung nicht durchführen. In der Praxis kein seltener Fall. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Beschränkung aus § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II liegt wohl beim Unterhaltsschuldner (vgl. BGH, FamRZ 2019, 1169, dort Rdnr. 21 – 24). Ist der Unterhaltsschuldner bspw. verheiratet und verfügt der (neue) Ehegatte über Einkommen, kann sich die Einbeziehung anderer Personen für den Pflichtigen durchaus ungünstig auswirken und es können sehr wohl auch Unterhaltsansprüche aus „fiktiver Leistungsfähigkeit“ auf das Jobcenter übergehen (vgl. BGH, FamRZ 2013, 1962, dort Rdnr. 24).

Entsprechendes gilt auch für den Anspruchsübergang in der Sozialhilfe nach § 94 SGB XII mit dem Unterschied, dass hier nicht auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft, sondern nur auf den Unterhaltspflichtigen selbst abgestellt wird.