eigene Unterhaltsansprüche des barunterhaltspflichtigen Elternteils
In der Praxis wird immer wieder ignoriert, dass sich eigene Unterhaltsansprüche des barunterhaltspflichtigen Elternteils auf dessen Leistungsfähigkeit auswirken.
Von Beiständen, Unterhaltsvorschusskassen und erst recht von Jobcentern wird sehr häufig übersehen, dass sich eine beschränkte Leistungsfähigkeit oder gar Leistungsunfähigkeit bei einem Unterhaltsflichtigen – ohne Auskunft über das Einkommen des im Haushalt lebenden Ehegatten – nicht feststellen lässt.
(wieder-) verheirateter Elternteil - Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit
Vorteil durch das Zusammenleben mit einem Partner - Synergieeffekt
Das Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft kann auch unter dem Gesichtspunkt ersparter Wohn- und Haushaltskosten nach den Umständen des Einzelfalles – bei Leistungsfähigkeit des Partners – die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen steigern.
Bei der Ermittlung einer Unterhaltspflicht kann dieser geldwerte Vorteil in der Regel für die Gemeinschaft mit 20 % des Selbstbehalts bemessen und dem jeweiligen Partner zur Hälfte zugerechnet werden. Der Synergieeffekt durch das Zusammenleben mit dem Ehegatten kann mit rd. 10% des Selbstbehaltes angenommen werden; setzt aber voraus, dass die Gesamteinkünfte den Familienselbstbehalt bzw -unterhaltsbedarf übersteigen. Das gilt übrigens nicht nur für den Kindesunterhalt. Der Bundesgerichtshof hat das mehrfach auch für den Elternunterhalt entschieden.
In der Entscheidungssammlung zu UH-LEX findet man dazu – reichlich – Literatur und Rechtsprechung angegeben.
Unterhaltsanspruch erhöht Leistungsfähigkeit
Der jeweilige Selbstbehalt kann unterschritten werden, wenn der eigene Unterhalt des Pflichtigen ganz oder teilweise aus dem Familienunterhaltsanspruch durch seinen Ehegatten gedeckt wird.
Kommt der gesteigert barunterhaltspflichtige Elternteil seiner Erwerbsobliegenheit nicht oder nicht vollständig nach, werden ihm auch „fiktiv“ entsprechende Einkünfte angerechnet.
Nach der sog. Hausmann-Rechtsprechung gilt dies auch bei der Betreuung (gemeinschaftlicher) minderjähriger Kinder, die anderen Kindern unterhaltsrechtlich gleich stehen (§ 1609 BGB). Das fände auch dann entsprechende Anwendung, wenn der Unterhaltspflichtige in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einem anderen Partner zusammenlebe und ein aus dieser Beziehung stammendes Kind betreue (vgl. BGH, FamRZ 2001, 614 ff.).
Dass der Unterhaltsanspruch die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen erhöht, ist seit vielen Jahren bereits im Elternunterhalt (sog. Schwiegerkindhaftung) anerkannt. Folglich gilt dies erst recht im Rahmen der gesteigerten Verantwortung gegenüber minderjährigen Kindern und pivilegierten Volljährigen.
Stellt der Pflichtige seinen Eigenbedarf bereits aus dem Unterhaltsanspruch gegen den im Haushalt lebenden Ehegatten sicher, stehen seine tatsächlichen oder fiktiven Einkünfte voll für den Unterhaltsanspruch zur Verfügung.
In der Praxis gewinnt dieser Gesichtspunkt zunehmend – auch (dazu noch später) in der Zwangsvollstreckung – an Bedeutung.
In UH-LEX haben wir die entsprechenden Berechnungen für sämtliche Unterhaltsrechtsverhältnisse hinterlegt und sehr ausführlich dokumentiert.
UH-LEX ermöglicht verschiedene Berechnungsarten. Zum einen lässt sich der Natural- Unterhaltsanspruch nach der der gesteigerten Unterhaltspflicht entsprechenden „Halbteilung“ ermitteln, zum anderen auch nach dem für den Elternunterhalt vom BGH bezeichneten „Anteil am Familienunterhaltsbedarf“. Selbstverständlich ist in dem Textausdruck die maßgebliche Rechtsprechung nachvollziehbar zitiert.
Realisierung des Auskunftsanspruches über die Verhältnisse des Ehegatten - §§ 235, 236, 243 FamFG
Jedenfalls, wenn nur der Mindestunterhalt für minderjährige Kinder verlangt wird, ist der Pflichtige darlegungs- und beweispflichtig für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Dass der Pflichtige zur Auskunft über das Einkommen des im Haushalt lebenden Ehegatten verpflichtet ist, ist vom BGH entschieden und zwischenzeitlich unstreitig. Die maßgeblichen Entscheidungen sind in der Sammlung zu UH-LEX enthalten.
Der Pflichtige muss sich insoweit als leistungsfähig behandeln lassen und wäre – wenn er seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit erst im gerichtlichen Verfahren nachweist – sogar zur Kostentragung verpflichtet (§ 243 Nr. 2 FamFG).
Wird mehr als der Mindestunterhalt verlangt, lassen sich die Auskunftsansprüche nach den §§ 235 Abs. 2, 236 Abs. 2 und 243 Nr. 2 FamFG ebenfalls effektiv durchsetzen, ohne das man auf die arbeits- und zeitaufwändige Amtsermittlung, Auskunfts- und Stufenanträge ausweichen muss.
Auch der im Ermessen der Behörde stehende öffentlich-rechtliche Auskunftsanspruch nach UntVorschG und SGB II dürfte wohl den Anspruch auf Auskunft über das Einkommen des Ehegatten erfassen. Jedenfalls sehen das die meisten formularmäßigen Auskunftsersuchen der Jobcenter vor.
(Hingegen hat der BGH einen Auskunftsanspruch für andere haushaltsangehörige Personen verneint – vgl. BGH, 8.05.2019, XII ZB 560/16, dort Rdnr. 33 – 35.) Im SGB XII sieht § 117 eine eigene Auskunftspflicht des im Haushalt des Pflichtigen lebenden Ehegatten vor.
Vergleichsberechung nach § 33 SGB II - Einbeziehung des Ehegatten des Pflichtigen
Da das Einkommen des im Haushalt lebenden Ehegatten des Pflichtigen auch im Rahmen der Schutz- oder Vergleichsberechnung nach § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II zu berücksichtigen ist, geht ggf. ein Unterhaltsanspruch – evtl. sogar aus fiktiver Leistungsfähigkeit – auf das Jobcenter über (vgl. BGH, FamRZ 2013, 1962, dort Rdnr. 23, 24).
Der Bundesgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Titelumschreibung (§ 727 ZPO) am 08.Mai 2019, XII ZB 560/16, weiter entschieden, dass der Pflichtige für die Einschränkungen aus der Vergleichsberechnung ebenfalls darlegungs- und nachweispflichtig ist.
Die früher und auch heute noch vielfach vertretene Ansicht, dass Jobcenter müsse von Amts wegen prüfen, gar mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzen, ob der Anspruchsübergang nach § 33 SGB II erfolge, lässt sich nicht (mehr) aufrecht erhalten.
Kritisch: zur Realisierung der Auskunftsansprüche durch Sozialleistungsträger
Was die Durchsetzung der Auskunftsansprüche durch die Behörden angeht, entsprechen die Unterhaltsvorschussrichtlinien der sich mit den Jahren veränderten Rechtslage am ehesten.
Dort ist vorgesehen, dass, wenn der Pflichtige die Auskunft nicht erteilt, aufgrund der Darlegungs- und Beweislast von Leistungsfähigkeit ausgegangen wird und umgehend gerichtliche Hilfe – z. B. im Vereinfachten Verfahren – in Anspruch genommen wird.
Die Jobcenter sind da in der Regel und ganz überwiegend deutlich „komplizierter“.
Das Verfahren macht hier häufig einen sehr „bürokratischen Eindruck“. Es ist immer noch kein Einzelfall, dass an alle Unterhaltspflichtigen Rechtswahrungsanzeigen verschickt werden, selbst wenn diese amtsbekannt SGB II-Leistungen erhalten und ein Übergang nach § 33 SGB II ausgeschlossen ist. „Sie könnten ja anfangen, zu arbeiten, …“ Ob eine Wahrungsanzeige, in der die Aussage „steckt“, ein Anspruch werde z. Zt. nicht geltend gemacht, nach der Rechtsprechung zur vergleichbaren Mahnung überhaupt rechtliche Wirkungen entfaltet, lassen wir mal dahin gestellt.
Erteilt der Pflichtige keine vollständige Auskunft, wird zeitaufwändig und oft mehrfach erinnert. Als Reaktion darauf, dass der Pflichtige seiner Auskunftspflicht immer noch nicht nachkommt, wird schließlich „von Amts wegen“ ermittelt. Der bei der Rentversicherung ggf. zuletzt erfasste Arbeitgeber wird angeschrieben. Obschon die Amtsermittlungen nicht „komplett“ und vielfach auch nicht mehr aktuell sind, gibt man sich damit schließlich zufrieden – und „legt den Fall ggf. auch ab“. Anderenfalls wird – jetzt ggf. mit Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld und/ oder Bussgeld – „Druck gemacht“.
Die Begründung lautet, „das haben wir immer so gemacht“…, und „sorgt dafür, dass alle ´beschäftigt` sind“. Ob dieses Vorgehen zur Durchsetzung des Auskunftsanspruches „effektiv“ ist, darf bezweifelt werden. Die erheblichen Arbeitsrückstände, die ständigen Fragen nach Verwirkung übergegangener Ansprüche in Fortbildungsveranstaltungen und der Umstand, dass sich Unterhaltsrückstände – erst recht, wenn man sie vielfach immer noch im Mahnverfahren ohne Vollstreckungsprivileg tituliert – nur sehr schwer realisieren lassen, sprechen dagegen.
Die in den Jobcentern mit der Antragstellung einzureichende ´Anlage UH`, also die Angaben zu den unterhaltspflichtigen Personen, wären eine gute Hilfestellung, die Unterhaltsheranziehung „ergebnisorientiert“
durchzuführen und Prioritäten zu setzen. Allerdings muss dann bei der Antragsanahme und -bearbeitung auch auf den Inhalt der Anlage UH geachtet werden – vielleicht besser, als das derzeit vielerorts der Fall ist.
In der Regel weiß der Antragsteller – jedenfalls, wenn er vorher mit dem Unterhaltspflichtigen zusammen lebte -, ob und welchen Beruf der Pflichtige ausübt(e), ob er selbst Sozialleistungen bezieht usw. Danach lassen sich die Einkommensverhältnisse qualifiziert schätzen und ggf. Leistungsfähigkeit nach §§ 235, 236, 243 Nr 2 FamFG annehmen.
Erfahrungsgemäß lässt sich zwar nicht ausschließen, dass man auch Titel im Versäumnisverfahren erhält, die sich später in der Zwangsvollstreckung nicht realisieren lassen. „Alles in allem“ scheint dieses Verfahren aber effektiver, als monatelang zu ermitteln und dann bei Feststellung sich erst noch wieder zeitaufwändig einen Titel beschaffen zu müssen – genauso, wie sich das die Unterhaltsvorschussrichtlinien „zum Prinzip“ gemacht haben.
Nach meinen Erfahrungen gibt es zu wenig Führungskräfte in den Jobcentern, die „ergebnisorientiert“ agieren, ihre Ziele definiert haben, Zielerreichung „controllen“, nach Rückholquote und Verhältnis zum Ressourcen-/ Personaleinsatz fragen. Oft ist Unterhaltsheranziehung ein „ungeliebtes Stiefkind“. Im Unterhaltsvorschuss scheint sich das durch Vorgaben auf Landes- und Bundesebene deutlich geändert zu haben.
Einbeziehung des Ehegatten auch bei der Pfändung nach § 850d ZPO
Die Einbeziehung der Einkünfte des mit dem Pflichtigen zusammlebenden Ehegatten gilt auch für die Zwangsvollstreckung gegen ihn.
Bei der Pfändung wird der Unterhaltsanspruch bei der Bemessung des „notwendigen Unterhalts“ im Sinne des § 850d ZPO einbezogen. Deshalb können auch Einkommensbeträge, z. B. aus Minijob, Aushilfs- oder Teilzeitbeschäftigung des Pflichtigen, gepfändet werden – selbst wenn sie den allgemein vom Gericht belassenen pfandfreien Betrag unterschreiten.
Zum konkreten Fall: Pfändung § 850d ZPO - siehe LG Köln, 50 M 651/19, FamRZ 2020, 701 [LS]
Die Entscheidung wurde der FamRZ nun mitgeteilt von Frau Mecking von der Stadt Bocholt –
Fall: “ Der seinem minderjährigen Kind gegenüber barunterhaltspflichtige Kindesvater erzielt aus Teilzeitbeschäftigung Erwerbseinkommen in Höhe von nur 300 €. Der Pflichtige lebt zusammen mit seiner erwerbstätigen Ehefrau. Die zuständige Stadt beantragte, den pfandfreien Betrag nach § 850d ZPO auf „Null“ festzusetzen. Sie wies darauf hin, dass die Ehefrau nach den Angaben des Pflichtigen in der letzten Vermögensauskunft ein Erwerbseinkommen in Höhe von 1.750 € monatlich erziele. Der sozialhilferechtliche Bedarf des Pflichtigen und seiner Ehefrau (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft = 1.292 € zzgl. Freibetrag wegen Erwerbstätigkeit) sei durch das monatliche Nettoeinkommen der Ehefrau gedeckt. Das Amtsgericht lehnte die „Nullpfändung“ ab. Die Stadt müsse das Einkommen der Ehefrau zudem konkret nachweisen.“
Unterhaltspflichtiger übt nur Teilzeitbeschäftigung aus, um Pfändung zu umgehen (?)
In der Heranziehungspraxis vieler Unterhaltsvorschusskassen und Jobcenter sind diese Fälle nicht selten:
Der barunterhaltspflichtige Elternteil lebt in einer neuen Beziehung/ Ehe und gibt seine Erwerbstätigkeit auf (sog. Hausmanns-Fälle). Oder – so wie im vorliegenden Fall – wird nur eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt – und das auch noch im vormals selbst betriebenen Gewerbebetrieb, der jetzt auf den Namen der (neuen) Ehefrau läuft.
Erzielt der Pflichtige selbst kein Einkommen, könnte man daran denken, gemeinsames Vermögen (Gewahrsams-vermutung, § 739 ZPO), das (gemeinsame Oder-) Konto oder den Taschgeldanspruch gg. den Ehegatten (§ 850b ZPO) zu pfänden.
Die Amtsgerichte belassen bei der Pfändung von Arbeitseinkommen als „notwendigen Unterhalt“ standardmäßig „pfandfrei“ etwas mehr als den doppelten SGB XII-Regelbedarf – vielerorts 900 €, 950 € oder vereinzelt sogar 1.000 €. Und genau bis zu dieser Höhe – wen wundert´s – erzielt der Pflichtige Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung (?).
In den allermeisten Fällen kommen die Unterhaltspflichtigen „damit“ durch. Nur wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugend-, Sozialämtern und erst recht in den oft zentral organisierten Jobcentern haben „die Nähe zum Fall“ und kennen sich „so gut mit Zwangsvollstreckung aus“. Der Fall zeigt: auch bei den Amtsgerichten ist es nicht immer einfach.
Das Landgericht Köln, 06.01.2020, 50 M 651/19, § 850d ZPO, FamRZ 2020, 701 [LSe], entschied in Anlehnung an die zuvor zur Pfändung von Schadensersatzansprüchen (§ 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO) ergangenen nachfolgende BGH-Entscheidung und hielt die Angabe in der Vermögensauskunft auch für ausreichend.
„Das Vollstreckungsgericht hat zu prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder teilweise durch weitere Einnahmen oder geldwerte Naturalleistungen tatsächlich gedeckt ist. Im Umfang der anderweitigen Deckung ist der Freibetrag, der dem Schuldner aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist, herabzusetzen.
Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten muss das Vollstreckungsgericht ohne Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche wegen der aus § 19 Abs. 1 SGB XII (2003), § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII folgenden Wertentscheidung auch die Einkünfte des Ehegatten in die Prüfung der Bedarfsdeckung mit einbeziehen.“
Verfügt der im Haushalt des Schuldners lebende Ehegatte nach den Angaben des Schuldners in der von ihm abgegebenen Vermögensauskunft über ein zur Sicherstellung des sozialhilferechtlichen Bedarfs des Schuldners und seines Ehegatten ausreichendes Einkommen, ist dieses auch zur Sicherstellung des dem Schuldner nach § 850d ZPO zu belassenden notwendigen Unterhalt zu verwenden.
Bei einem entsprechenden Einkommen des Ehegatten verbleibt dem Schuldner von seinem Einkommen kein pfandfreier Betrag mehr (unter Hinweis auf BGH, 25.10.2012, VII ZB 12/10, NJW 2013, 1370 = FamRZ 2013, 442).
Das Erwerbseinkommen des Schuldners kann hiernach bis auf „Null“ (sog. Kahlpfändung) gepfändet werden.
Der Kritiker mag völlig zurecht anmerken: „Warten wir ab, wie lange der Schuldner (ggf. noch bei seiner Ehefrau) „arbeiten kann“ (??).“ Andererseits: Ist einzusehen, dass der gesteigert UH-Pflichtige dieses Einkommen (quasi offiziell und nur für sich) erzielen darf und sein Kind (bzw. dessen Mindestunterhalt) den öffentlichen Kassen überantwortet (?)
Auf die priviegierte Pfändung von Einkommen aus einem sog. Minijob bei Aufstockung durch Hartz-4-Leistungen wurde an anderer Stelle eingegangen.